In meinem letzten Blog im Jänner schrieb ich über das Loslassen. Ich schrieb nicht nur, ich traf auch die Entscheidung, alles radikal loszulassen was nicht mehr zu mir gehörte und meiner Entwicklung im Weg stand. Dabei war mir nicht bewusst, welche Auswirkungen das haben würde. Zuerst verabschiedete sich ein besonderer Mensch aus meinem Leben. Träume zerbrachen, und auch mein Herz. Danach verabschiedete sich meine Gesundheit.
Oft müssen wir uns mit Dingen auseinandersetzten, die wir uns lieber ersparen würden. Doch es bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zu stellen. Tief einzutauchen, durchzuwaten durch den Morast der verdrängten Gefühle, sie noch einmal zu fühlen und damit zu erlösen. Die Perlen im Schlamm zu finden und mit ihnen aufzutauchen. Die Lektionen sind immer schmerzhaft, trotz des Wissens, dass wir an ihnen wachsen.
Ich bin wieder aufgetaucht. Ich bin wieder gesund. Ich bin fit und voller Tatendrang. Fröhlich und erleichtert, die dunklen Stunden hinter mich gelassen zu haben fahre ich in die Stadt. Was für ein herrlicher Frühlingstag. Ich esse Sushi mit meiner Schwester Paula und halte meine kleine Nichte Elva im Arm. Sie weint, sie erkennt mich nicht wieder. Zu lange haben wir uns nicht gesehen, die Zeit der Pandemie hat uns alle herausgefordert und verändert. Ich treffe meinen Freund Jan, wir setzen uns gemütlich auf eine Parkbank und genießen die warmen Sonnenstrahlen.
„Erzähl mir von deinen Leben zwischen den Bäumen“ sagt Jan. Sind es tatsächlich schon vier Jahre, seit ich der Stadt den Rücken gekehrt habe und einem Leben in der Natur fröne? Mir kommt vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich die Entscheidung für ein Leben am Land getroffen habe. Was ist seitdem passiert? Im ersten Jahr musste ich Fuß fassen, neue Optionen ausprobieren, und ich schrieb ein Buch über das Fasten. Gerade als ich stolz und voller Freude mein neues Werk druckfrisch in den Händen halten und präsentieren durfte, kam dieser Virus, der die gesamte Welt stilllegte. Weg waren die Chancen und beruflichen Möglichkeiten. In der Abgeschiedenheit meines Büros mit Blick auf riesige Fichten und ein Stückchen Himmel blieb mir nur mehr das Schreiben. Mein erstes Buch überarbeiten, eine Ausbildung zur Schreibtrainerin machen, Artikel verfassen. Die Familiendynamiken änderten sich, das Haus wurde umgebaut, ich saß mitten in einer Baustelle, fühlte mich selbst wie eine. Wann konnte ich endlich so leben, wie ich es mir vorgestellt hatte?
Ich hatte große Pläne für mein Leben in der Natur. Wollte kein beschauliches Landleben führen, im Winter vor dem Kamin sitzen und im Sommer Rosen züchten. Ich wollte die Tage nicht geruhsam und ereignislos vorüberziehen lassen. Ich wollte reisen, mich beruflich voller Leidenschaft ins Leben einbringen und neue Horizonte erschließen.
Jetzt sitze ich hier, auf der Parkbank mit Jan, lasse die letzten vier Jahre meines Landlebens an mir vorüberziehen. Mein „Leben zwischen den Bäumen“ ist völlig anders geworden, als ich es mir vorgestellt habe. So vieles, dass ich nicht umsetzen konnte. Auch die Welt ist zu einer anderen geworden. Bereue ich es, aufs Land gezogen zu sein? Nein! Würde ich es anders machen, wenn ich noch einmal vier Jahre zurückgehen könnte? Nein!
Die letzten Jahre waren eine Meisterklasse für mein Menschsein. Ich bin stärker geworden. Mitfühlender mit mir und meinen Mitmenschen. Auch ein bisschen weiser, gelassener und noch viel dankbarer. Ich wurde geschliffen wie ein Diamant, jetzt leuchte ich mehr als vorher. Aus meinen alten Träumen entstehen neue. Ich spüre, wie eine Türe auf geht und dahinter ungeahnte Möglichkeiten auf mich warten. Stadt und Land, reisen, interessante Menschen kennenlernen, das Leben neugestalten. Ich bin bereit, meinen einzigartigen, mir noch unbekannten Weg weiterzugehen. Mit kreativen Ideen und viel Elan, voller Freude und vor allem mit Frieden in meinem Herzen.
Mit mir in Frieden zu sein ist das Geschenk, das mir das Leben der letzten vier Jahre beschert hat. Ich habe die Perlen aus dem Morast getaucht. Sie glitzern. So kostbar und vielversprechend wie die Sonnenstrahlen, die durch mein Dachfenster den Raum erhellen.
Seien wir dankbar für die Lektionen der Vergangenheit. Denn sie haben uns zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind. Jetzt können wir mutig nach vorne schreiten.